Kündigen vor Publikum: Bei TikTok teilen junge Menschen Videos von sich, die sie beim Kündigen zeigen. Am Telefon oder im Video Call mit dem Chef oder der Chefin. „QuitTok“ ist beliebt. Das sagt auch etwas über unser aktuelles Arbeitsleben aus.
Sie plant, aber eigentlich erwartet sie auch nicht. Denn die Worte dafür kann die 27-jährige Darby Maloney vor Aufregung und Rührung gar nicht aussprechen. Muss sie auch nicht – ihre Chefin weiß bereits Bescheid und reagiert verständnisvoll. Einblick in diesen sonst intimen Moment gibt es auf TikTok, mehr als zwölf Millionen Mal wurde er bereits aufgerufen.
Maloney hat sich während ihrer Kündigung gefilmt. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll“, sagt sie, dann bricht ihre Stimme, sie fährt sich nervös mit den Händen übers Gesicht. „Ich wusste, dass es passieren wird“, heißt es verständnisvoll am anderen Ende der Leitung von ihrer Chefin. „Wenn du das Gefühl hast, das ist, was du tun musst, dann verstehe ich das absolut“, sagt die Chefin. „Wir werden sehr traurig sein und wir werden dich vermissen“. In der Kommentarspalte unter dem Video loben andere User das Verhalten der Vorgesetzten und wünschen sich auch so eine.
Im Gespräch mit „Insider“ sagt Maloney, sie habe nicht gekündigt, weil ihr der Job nicht mehr gefallen habe. Die andere Stelle hat eben mehr Entwicklungspotenzial geboten. Gefilmt hat sie die Kündigung demnach, weil sie so nervös gewesen sei und sich das Ganze dann in Ruhe anschauen wollte.
QuitTok ist zum Phänomen geworden
Künden vor Publikum, das ist inzwischen weit verbreitet. QuitTok ist zum Social Media-Trend geworden. Tok, von TikTok, klar, Quit von Englisch kündigen, to quit. Unter dem Hashtag #quitmyjob finden sich etliche Videos dazu vor allem von jungen Menschen. Eines davon kommt von Influencerin Leslie Beck. Auch sie hat ihre Kündigung gefilmt und das Video bei TikTok hochgeladen. Und auch ihr Chef reagiert im Gespräch verständnisvoll.
Es sei wichtig, Chefs zu sehen, sterben in solchen Situationen positiv, sagt Beck im Gespräch mit „Insider“. Sie ist überzeugt: Solche geben Menschen Hoffnung. Ganz gleich, ob es ums Kündigen oder um eine Lohnerhöhung gehe oder schlichtweg darum, seine Bedenken zu kommunizieren.
Der Wunsch nach mehr Geld und Tipps für die Kündigung
In den USA kündigen gerade so viele Menschen wie seit zwei Jahrhunderten nicht mehr. Es ist die Rede von „The Great Resignation“. Als mögliche Gründe gelten die Folgen der Pandemie, veränderte Prioritäten, unerwartete Wertschätzung im aktuellen Job und viele offene Stellen.
Auch hierzulande spielen viele mit dem Gedanken zu kündigen. Der Stern berichtete Anfang März von einer repräsentativen YouGov-Umfrage laut der mehr als jeder Dritte der rund 3000 angezeigt, derzeit über einen Jobwechsel nachzudenken. Dabei sind acht von zehn mit ihrem aktuellen Job eher oder sehr zufrieden. Der Grund für die Kündigung liegt für die meisten beim Geld. Vier von zehn gegeben gegeben an, mit ihrem Gehalt unzufrieden zu sein.
Anders als die Menschen, die den Schritt der Kündigung gegangen sind und Videos davon bei Tiktok teilen, geben in der YouGov-Umfrage nur zehn Prozent der betroffenen an, ihren Abgang bereits konkret planen oder sich schon anderswo beworben zu haben.
Wer sich dann entschlossen hat und vor dem Kündigungsgespräch steht, dem rät „Hauptstadt“, nicht in den Vordergrund zu stellen, warum man gehen will, sondern statt den Wunsch nach neuen Herausforderungen zu betonen. „Formulieren Sie diese so, dass Ihr Noch-Arbeitgeber sie garantiert nicht erfüllen kann.“ Auch persönliche Gründe zu nennen, sei nicht tabu. Wer einen halbwegs guten Draht zu seinem Arbeitgeber hat, dürfte ruhig sagen, dass beispielsweise die älter werdenden Eltern in der Heimatstadt Unterstützung bräuchten.
Die Gen Z hat ein anderes Verhältnis zur Arbeitswelt
Während die einen mit einer Kündigung zögert, gehören die jungen Menschen bei Tiktok einer Generation an, die ein neues Verhältnis zur Arbeitswelt mitbringt. Bildungswissenschaftler Klaus Hurrelmann spricht im Interview mit dem Stern von nichts Geringerem als einer „Revolution auf dem Arbeitsmarkt“. Die Gen Z ist aufgrund des demografischen Wandels in einer immer guten Position, die Babyboomer gehen in Rente, Fachkräfte werden gesucht. Und während die Babyboomer noch alles nach dem Beruf ausgerichtet haben, setzen die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jetzt nachkommen, andere Prioritäten. Hurrelmann nennt dabei: Sinnhaftigkeit, Teamarbeit, regelmäßiges Feedback, eine gute Arbeitsatmosphäre, Sicherheit im Job. Vereinbarkeit sei schon fast nicht mehr der richtige Begrifft: „Die Qualität des privaten Lebens soll unbedingt erhalten und in keinster Weise durch den Beruf geschmälert werden.“
Im Ruhestand
Von 60 bis 69: In welchen EU-Staaten gehen die Menschen am frühesten in Rente?
Auf Arbeitgeberseite sieht die Sache mit der Flexibilität aber teilweise noch etwas anders aus. So steht beispielsweise Deutschlands Arbeitgeberchef Steffen Kampeter kürzeren Arbeitszeiten kritisch gegenüber. In einem Vorstellungsgespräch mit „Tischmedien“ forderte er kürzlich „mehr Bock auf Arbeit“. Eine gute Work-Life-Balance bekommt man auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche noch hin. Eine freie Forderung, findet unsere Autorin in ihrem Kommentar.
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Quellen: Hauptstadt, Insider (ICH), Insider (II), Tabellenmedien, Tick Tack
Quelle: Stern