Stand: 19.10.2022 14:36 Uhr
In Erwartung eines ukrainischen Angriffs hat die russische Besatzungsverwaltung die Zivilbevölkerung angewiesen, Cherson zu verlassen. 60.000 Menschen werden aus der Stadt gebracht. Auch die Verwaltung selbst zieht sich zurück.
Angesichts der vorrückenden ukrainischen Truppen hat in der von Russland besetzten Region Cherson nach Angaben der von Moskau eingesetzen Besatzungsverwaltung die Evakuierung von Zivilisten aus der Großstadt begonnen.
Russische Angriffe zielen immer mehr auf Infrastruktur der Ukraine ab
Jens Eberl, WDR, tagesschau 12:00 Uhr, 19.10.2022
Auf die andere Seite des Dnjepr
Einwohner Chersons würden auf das andere Ufer des Flusses Dnjepr gebracht, hieß es. Staatliche russische Medien zeigten Bilder, wie Menschen mit Fähren über den Fluss auf die andere Seite gebracht wurden. 5000 sollen schon weggebracht worden sein. Die großen Brücken über den Fluss waren bei ukrainischen Angriffen zerstört oder schwer beschädigt worden.
Insgesamt sollen demnach zwischen 50.000 und 60.000 Menschen an das Ostufer des Dnjepr oder nach Russland gebracht werden, kündigte der von Russland eingesetzte Verwalter der Region Cherson, Wladimir Saldo, laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS an. Die Evakuierung werde voraussichtlich etwa sechs Tage dauern. Zivilisten sei nun der Zutritt zur Region Cherson für sieben Tage verboten. Vor dem Krieg lebten fast 300.000 Menschen in der Stadt, wie viele es derzeit sind, ist nicht bekannt.
Kiew warf Russland vor, mit der Evakuierung Ängste schüren zu wollen. „Die Russen versuchen, der Bevölkerung von Cherson mit falschen Newslettern über die Bombardierung der Stadt durch unsere Armee Angst zu machen“, erklärte der ukrainische Präsidentenberater Andrij Jermak im Onlinedienst Telegram. Mit der Evakuierung betreibe Russland eine „Propaganda-Show“. Ukrainische Kräfte „feuern nicht auf ukrainische Städte“, schrieb Jermak.
Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete.
Bild: ISW/18.10.2022
Verwaltung verlässt Cherson
Auch die Besatzungsverwaltung zieht sich nach eigenen Angaben vollständig aus der Stadt Cherson zurück. Saldo sagte dem russischen Sender Rossija 24: „Ab heute werden alle Regierungsstrukturen der Stadt, die zivile und militärische Verwaltung, alle Ministerien, an das linke Flussufer verlegt“. Die russische Armee werde aber in der Stadt gegen die vorrückenden ukrainischen Truppen „bis zum Tod“ kämpfen.
Russland bereitet sich auf einen ukrainischen Vorstoß in der Region Cherson und die gleichnamige Stadt vor und ruft die Bevölkerung dort auf, sich in Sicherheit zu bringen. Das ukrainische Militär werde in Kürze eine Offensive gegen die Stadt Cherson beginnen, sagte der stellvertretende Verwalter der Region, Kirill Stremoussow. „Ich forderte Sie auf, meine Worte ernst zu nehmen und sie umzusetzen: die schnellstmögliche Evakuierung“, schrieb er in der Nacht zum Mittwoch.
Russische Armee in der Defensive
Der neue Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine räumte ein, dass die Lage in der Region schwierig sei. Die Situation könne als angespannt bezeichnet werden, sagte Sergej Surowikin dem Sender Rossija 24.
In den vergangenen Wochen wurden die russischen Truppen um 20 bis 30 Kilometer zurückgedrängt und drohen, an das andere Ufer des Flusses Dnjepr gedrängt zu werden. Russland hatte die Region Cherson und drei weitere ukrainische Regionen im September nach international scharf kritisierten Schein-Referenden annektiert.
Ukraine: Russischer Kommandeur erwartet Großangriff
Bernd Musch-Borowska, ARD Kiew, 19.10.2022 · 06:48 Uhr
Quelle: Tagesschau