Stand: 20.04.2022 15:05 Uhr
Im Fernsehduell treffen Macron und Le Pen erstmals in diesem Wahlkampf direkt aufeinander. Rhetorisch ist der Präsident zwar stärker – doch seit der TV-Blamage von 2017 hat die rechte Kandidatin dazugelernt.
„Rien n’est joué“ – noch ist nichts entschieden. Mit dieser Aussage nach dem ersten Wahlgang machte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron deutlich, dass es in der Stichwahl am Sonntag durchaus eng für ihn werden könnte. Der komfortable Vorsprung von 32 Prozentpunkten, den er 2017 auf die extrem rechte Kandidatin Marine Le Pen hatte, ist zusammengeschmolzen: In aktuellen Umfragen liegt er nur noch rund zehn Prozentpunkte vor Le Pen.
Noch habe der amtierende Präsident einen Vorteil, analysiert der Politikwissenschaftler Brice Teinturier: „Aber wir müssen uns jetzt vor allem das Fernsehduell anschauen. Es könnte das Stimmenverhältnis noch einmal verändern. Die direkte Begegnung wird mit Spannung erwartet. Sie ist eine Art Rückspiel von 2017. Zentral ist die Frage, wie glaubwürdig sich Marine Le Pen dieses Mal präsentieren kann.“
Vor fünf Jahren ging Marine Le Pen im Fernsehduell richtig baden: Der frontale, persönliche Angriff war damals ihre Taktik, inhaltlich hatte sie wenig zu bieten.
Macron zerlegte seine Gegenkandidatin Stück für Stück – etwa, als Le Pen verwechselte, dass Macron als Wirtschaftsminister nicht dem Verkauf des privaten Telefonanbieters SFR zustimmte, sondern der Übernahme von Alstom durch den US-amerikanischen Konkurrenten General Electric: „Wir können hier jetzt ins Detail gehen, aber das werden Sie kaum durchhalten“, sagte er damals. „Sie verwechseln Äpfel mit Birnen. SFR, das sind die mit den Telefonen und Alstom stellt Turbinen her. Das ist nicht das Gleiche.“
Putin-Nähe als Angriffsfläche
Ein traumatisches Erlebnis für Le Pen, heißt es aus ihrem Umfeld, das sich nicht wiederholen dürfe. Seit Monaten bereitet sie sich auf das Duell vor. Seit dem Wochenende hat sie sich zurückgezogen – mit ihren Beratern und einem Sparringspartner, der Macron ähneln soll.
Le Pen will Macron inhaltlich stellen und sich als Gegenentwurf zu seinem sozialliberalem Programm inszenieren. Macron wiederum wird einmal mehr die Gelegenheit nutzen, die klar nationalistische Politik von Le Pen auseinanderzunehmen. Außerdem bietet die extrem Rechte wegen ihrer engen Verbindungen zu Russland und seinem Präsidenten Wladimir Putin Angriffsfläche.
„Sie macht weniger Angst“
„Das wird ein Kampf“, sagt Politikwissenschaftler Teinturier. Le Pen habe es geschafft, ihr Image zu ändern: „Sie macht weniger Angst, gibt sich volksnah. Jetzt geht es ums Ganze. Denn in dieser Diskussion wollen die Menschen wissen: Wer will was? Und wie geben sich die beiden Kandidaten? Davon wird auch ein Teil der Stimmen abhängen.“
Und nicht nur Le Pen kann verlieren. Trotz besserer Ausgangslage hat der amtierende Präsident noch nicht gewonnen. Nach fünf Jahren Amtszeit ist Macron nicht mehr der Kandidat, der Aufbruch verspricht; nicht mehr derjenige, der viele im Land mit seinem Elan begeistert.
Bei einem Großteil der Menschen gilt er schon lange als abgehoben und arrogant – auch weil er gerne doziert und dabei schon mal oberlehrerhaft wirkt. Dieser Wesenszug könnte ihm gerade im direkten Rededuell gegen die rhetorisch in der Regel schwächere Le Pen auf die Füße fallen.
Rückspiel unter neuen Vorzeichen – Macron und Le Pen im TV-Duell
Sabine Wachs, ARD-Paris, 20.4.2022 · 13:58 Uhr
Quelle: Tagesschau