Ein plötzlicher Stopp der russischen Gaslieferungen würde die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen, warnen immer mehr Ökonomen. Die Wirtschaftsleistung würde spürbar einbrechen, die Inflation noch weiter steigen.
Die Diskussionen um ein mögliches Embargo gegen russisches Erdgas beobachten viele Ökonomen mit Sorge. Sie warnen vor schweren und schwerwiegenden Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Ein deutsches Embargo auf Öl, Gas oder Kohle oder ein russischer Lieferstopp dieser Rohstoffe würde Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) vorausgesetzt, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt mittelfristig um bis zu drei Prozent einbrechen lassen.
Auch die Konjunkturforscher der Hans-Böckler-Stiftung rechnen wegen des Ukraine-Kriegs und gestiegener Energiepreise mit dramatischen Folgen. Im „Basisszenario“ gebe es in diesem Jahr zumindest noch ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent. Bei einem ungünstigen Szenario würde die Wirtschaft dagegen um 0,3 Prozent schrumpfen und somit in eine Rezession rutschen. Dabei wäre vor allem der Wegfall von russischem Gas schädlich.
Umbau dauert bis zu 10 Jahre
Müsste sich die Wirtschaft dauerhaft darauf einstellen, kein Öl und Gas mehr aus Russland zu beziehen, würde der entsprechende Umbau den Berechnungen angenommen bis zu zehn Jahren in Anspruch nehmen, teilte das DIW am Dienstag mit. Die Wirtschaftsleistung geht in den kommenden 18 Monaten um bis zu drei Prozent zurück.
Auch die Inflation würde im Falle eines Importstopps steigen, um bis zu 2,3 Prozentpunkte. Das DIW-Modell berücksichtigt auch Wechselwirkungen zwischen den Euroländern sowie dem privaten Konsum.
Die Konjunkturforscher der Hans-Böckler-Stiftung schätzen die Inflationsrate moderat ein. Bei stark steigenden Energiepreisen und Folgen aufgrund von Lieferengpässen erreiche die Inflation in diesem Modell Wert von 6,2 Prozent in diesem Jahr. Gleichzeitig soll die Zahl der Erwerbstätigen steigen und die Arbeitslosenquote im Jahresschnitt von 5,7 auf 4,9 Prozent sinken, wie das Institut am Dienstag in Berlin mitteilte.
Dullien: Deutschland besonders betroffen
Der russische Angriffskrieg habe den wirtschaftlichen Erholungspfad jäh blockiert, erklärt der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien. „Das betrifft viele Länder, aber Deutschland ganz besonders.“
Das Konjunkturbild 2022 prägt jetzt dramatisch steigende Energiepreise, außer hohe Inflationsraten, neue Belastungen von Lieferketten und große Unsicherheit. Dies bremst den privaten Konsum, den Außenhandel und die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. „Statt eines dynamischen Aufschwungs werden wir dieses Jahr im besten Fall ein moderates Wachstum sehen.“
Forscher: EZB soll flexibles Kaufprogramm einführen
Die Forscher schlagen der Europäischen Zentralbank in ihrer am Dienstag vorgestellten Konjunktur-Prognose vor, ein flexibles Kaufprogramm einzuführen, um im Falle von Marktturbulenzen zügig eingreifen zu können. Die EZB lässt ihr in der Corona-Krise geschaffenes groß angelegtes Anleihenkaufprogramm namens PEPP Ende des Monats auslaufen, auch wenn Zukäufe von Anleihen über das weit kleinere APP vorerst weitergehen.
Die Forscher verweisen darauf, dass bisher die Risikoprämien auf Staatsanleihen im Euroraum zwar nur wenig gestiegen seien. Die Renditedifferenzen liegen allerdings bereits wieder auf dem Vor-Pandemie-Niveau, so dass beispielsweise Italien 1,5 Prozentpunkte höhere Zinsen für einen zehnjährigen Kredit zahlen muss als Deutschland. Aufgrund der hohen Abhängigkeit Italiens von russischen Gaslieferungen dürften die Lieferkettenprobleme und die Preisanstiege die Wirtschaft des Mittelmeerlandes erheblich belasten, so die Forscher.
IMK erwartet Zinserhöhung
„Insbesondere in dem hier skizzierten Risikoszenario ist es von herausragender Bedeutung, dass die EZB eine reibungslose Übertragung der Wirtschaftsentwicklung stützenden Geldpolitik in allen Euroländern gewährleistet und so krisenhafte Entwicklungen verhindert“, mahnten die Forscher.
Sollte sich die Wirtschaft dagegen auf dem Wachstumspfad halten und sich so wie in dem Basisszenario entwickeln, sieht das IMK den Weg frei für eine Straffung der Geldpolitik durch die EZB. „Sie werden zur Jahreswende voraussichtlich die Zinsen erstmals erhöhen“, sagte IMK-Expertin Silke Tober. Die EZB werde dies nicht wegen der primären Inflation tun, sondern auch weil sich die Konjunktur voraussichtlich dann festigt habe.
Quelle: t-online